Kurz vor Ostern jährte sich der Todestag von Dietrich Bonhoeffer zum 80. Mal: Am 9. April 1945 wurde er im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet. Der mennonitische Theologe Daniel Geiser-Oppliger blickt auf sein Leben und sein Wirken zurück.
Dietrich Bonhoeffer kam am 4. Februar 1906 in Breslau als eines von acht Kindern zur Welt. Er wuchs in einem privilegierten, bildungsbürgerlich-liberalen Milieu auf, «behütet und geborgen wunderbar». Als 17-Jähriger absolvierte er das Abitur, mit 21 Jahren seine theologische Doktorarbeit zum Thema: Communio Sanctorum – Gemeinschaft der Heiligen. In der Arbeit kam er zum Schluss: Gott will eine Geschichte der Gemeinschaft der Menschen, nicht bloss die Geschichte einzelner. Für ihn wurde deutlich: Jesus ist der Mensch für andere – und für die Kirche geht es darum, am Leid der Welt teilzunehmen. Das Christusereignis hatte für Bonhoeffer nicht nur ein soteriologisches Ziel, sondern selbst eine soteriologische Struktur. Das Reich Gottes ist nicht nur im Glauben, sondern im Schauen gegenwärtig.
Mit 24 Jahren folgte die Habilitation zum Thema: «Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht». Im Jahr darauf wurde er zum Privatdozenten in Berlin berufen und ordiniert. Es folgten eine Vikariatszeit in der deutschen evangelischen Gemeinde Barcelona und ein neunmonatiger Studienaufenthalt in New York. Hier entdeckte er die Sozialtheologie, das Beten, die Bedeutung der Bibel – und besonders die Bergpredigt. Seinem Bruder Karl-Friedrich schrieb er: «Ich glaube, dass ich eigentlich innerlich erst aufrichtig sein würde, wenn ich mit der Bergpredigt wirklich anfinge, Ernst zu machen. Hier sitzt die einzige Kraftquelle.» Sehr beeindruckt war er auch von den Gospelgottesdiensten.
Früher Kritiker am nationalsozialistischen Führerprinzip
Schon früh äusserte Bonhoeffer Kritik am nationalsozialistischen Führerprinzip. 1933 veröffentlichte er den Aufsatz «Die Kirche vor der Judenfrage» und forderte darin von seiner Kirche eine klare Stellungnahme: sich von Judenhetze und Verfolgung zu distanzieren und aktiven Widerstand zu leisten. 1935 trat er der Bekennenden Kirche bei. Bekannt ist seine berühmte Aussage nach der Reichspogromnacht: «Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.» Bonhoeffer nutzte seine zahlreichen internationalen Kontakte, um über innerdeutsche kirchliche Konflikte zu informieren und vor der nationalsozialistischen Politik zu warnen.
Auf der ökumenischen Friedenskonferenz in Fanö 1934 sagte er in einer Morgenandacht Worte, die aktueller nicht sein könnten: «Wie wird Friede? Wer ruft zum Frieden, dass die Welt es hört, zu hören gezwungen ist, dass alle Völker darüber froh werden müssen? … Nur das eine grosse ökumenische Konzil der heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so sagen, dass die Welt zähneknirschend das Wort zum Frieden vernehmen muss und dass die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt.»
1936 wurde ihm die Lehrbefugnis an der Berliner Universität entzogen. Drei Jahre später reiste er auf Einladung nach England und in die USA, um der drohenden Einberufung zum Militär zu entgehen. Gegen den Rat vieler Freunde kehrte er im Juli 1939 nach Deutschland zurück. In einem Brief begründete er dies: «Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich einen Fehler gemacht habe, indem ich nach Amerika kam. Ich muss die schwierige Periode unserer nationalen Geschichte mit den Christen Deutschlands durchleben. Ich werde kein Recht haben, an der Wiederherstellung christlichen Lebens nach dem Kriege in Deutschland mitzuwirken, wenn ich nicht die Prüfungen dieser Zeit mit meinem Volke teile.»
Verhaftung und Hinrichtung wegen «Zersetzung der Wehrkraft»
Anfang April 1943 wurde Bonhoeffer wegen «Zersetzung der Wehrkraft» verhaftet und zunächst im Gefängnis Berlin-Tegel inhaftiert. Hier war er noch relativ privilegiert: Besuche waren möglich, er konnte schreiben. Hier entstanden seine eindrücklichen Zeugnisse eines «diesseitigen» Christwerdens, die zu Klassikern des christlichen Glaubens, der ökumenischen Bewegung und theologischen Erneuerung wurden. Unter dem Titel «Widerstand und Ergebung» hat sein Schwager Eberhard Bethge bereits 1951 Briefe und Aufzeichnungen veröffentlicht. Kaum ein anderes theologisches Buch mit solch wirkungsvollen, persönlichen Zeugnissen hat weltweit eine nachhaltigere Wirkung auf die Leserinnen und Leser entfaltet.
Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Bonhoeffer Anfang Oktober in den berüchtigten Gestapo-Keller der Prinz-Albrecht-Strasse verlegt – fast ohne Kontakte zur Aussenwelt. Seit Weihnachten 1944 war er wie von der Bildfläche verschwunden. Er wurde heimlich ins KZ Buchenwald gebracht und schliesslich am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg durch Erhängen hingerichtet.
In der Begegnung mit Bonhoeffer «weltfromm» geworden
Bereits während meiner Studienzeit Anfang der 1960er-Jahre hatte ich das Privileg, in der neutestamentlichen Theologie und der Kirchengeschichte einige seiner Schriften kennenzulernen. Für eine Semesterarbeit habe ich eine Rezension des Buches «Nachfolge» vor der Klasse referiert. Eine tiefere und umfassendere Kenntnis über die Theologie Bonhoeffers erhielt ich 1978 in einem Seminar mit dem Dozenten Clarence Baumann während meines Sabbatjahres am Anabaptist Mennonite Biblical Seminary in Elkhart (USA). Dietrich Bonhoeffers unerschütterliches Gottvertrauen und seine tiefe, diesseitige Frömmigkeit haben mich beeindruckt und nachhaltig geprägt. Etwa der Gedanke, dass nicht der religiöse Akt den Christen macht, «sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben.» In der Begegnung mit Leben und Denken Bonhoeffers wurde ich anders fromm – «weltfromm»!
Am 19. Dezember 1944, in seinem Weihnachtsschreiben aus dem Gefängnis des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin an seine Verlobte Maria von Wedemeyer, widmete er ihr das Gedicht: «Von guten Mächten wunderbar geborgen, …» Die Worte dieses Gedichts können als Synthese seines Lebens verstanden werden. Dieses Glaubensgedicht verlangte förmlich nach Vertonung, was 1951 erstmals geschah. Über 70 Komponisten haben den Text vertont. In unserem mennonitischen Gesangbuch findet sich das Lied unter der Nummer 272 mit der Melodie von Otto Abel, der Kantor und Organist in Berlin war. Dieses Lied wird zum Kompass österlicher Hoffnung. Die Worte der sieben Strophen wollen in unserer zerbrochenen und unsicheren Weltsituation ermutigen, die Hoffnung und den Einsatz für die Welt nicht aufzugeben: «Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.» Die Worte dieses Liedes können uns im Jubiläumsjahr ermutigen, die bedingungslose und unbegrenzte Liebe Gottes – in der Nachfolge des Juden aus Nazareth, in der Kraft des aus dem Tode Auferweckten – in und für unsere Welt zu leben. «Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.»
Text:
Daniel Geiser-Oppliger
Titelbild:
Dietrich Bonhoeffer – Bilder seines Lebens © Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh