Seit 2020 bietet das Programm «Practico» Leiter:innen von Jugendgruppen in der Schweiz und in Frankreich die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und Ermutigung zu erfahren. Ein Einblick.
«Wenn man mit Jugendlichen arbeitet, merkt man, dass sie viele Fragen haben. Der beste Weg, sie beantworten zu können, ist, sich weiterzubilden», sagt Jérémie Beley. Der 21-Jährige ist Leiter der Commission Jeunesse France (CJ), der mennonitischen Jugendkommission Frankreichs. Von November 2023 bis März 2024 nahm er deshalb an der dritten Ausgabe von «Practico» teil, einer Schulung für Jugendgruppenleiter:innen, die vom Bildungszentrum Bienenberg angeboten wird. «Practico hat mir einen interessanten und fruchtbaren Austausch mit anderen Leitenden und neue Ideen gebracht, wie ich junge Christen in meinem Umfeld begleiten kann», sagt der angehende Sportlehrer.
Mehr als eine Weiterbildung
«Practico» gibt es seit 2020 und war von Beginn an als Ort gedacht, wo die Jugendgruppenleiter:innen Unterstützung und Ermutigung erfahren können: «Wir gehen immer von konkreten Anliegen der Teilnehmenden aus», sagt Marie-Noëlle Yoder, Leiterin der französischsprachigen Abteilung des Bildungszentrums Bienenberg. Sie hat das Programm zusammen mit Riki Neufeld, Pastor der Mennonitengemeinde Schänzli, ins Leben gerufen. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Leitenden von Jugendgruppen ihr ganzes Herzblut in ihren Dienst stecken, aber manchmal von den Hindernissen überfordert sind, denen sie begegnen. «Practico ermöglicht ihnen ihre Erfahrungen zu reflektieren. Sie können Fragen stellen, Herausforderungen erkennen, einander zuhören und gemeinsam Lösungen finden», erklärt Marie-Noëlle Yoder. Konkret besteht das Programm aus fünf einstündigen Sitzungen, die über fünf Monate verteilt sind. Dafür treffen sich die Teilnehmenden per Videokonferenz. Jemand von ihnen überlegt sich im Vorfeld eine Herausforderung, auf die sie oder er gestossen ist, sowie eine konkrete Frage dazu. Diese wird dem Rest der Gruppe vorgestellt. In einer ersten Phase geht es dann darum, die frage genau zu verstehen. Danach äussern sich alle Teilnehmenden dazu. Dann geht es ans Eingemachte: Alle Ideen werden zusammengetragen und eine konkrete Antwort erarbeitet.
Fragen mitten aus dem Jugendgruppen-Alltag
Auf diese Weise wurde beispielsweise an einem Treffen das Thema Gebet behandelt: «Jemand brachte die Frage ein, wie es gelingen kann, dass sich die Jugendlichen wohlfühlen, wenn sie in der Jugendgruppe laut beten?», berichtet Raphaël Burkhalter, Jugendpastor der Mennonitischen Jugendkommission der Schweiz (MJKS), der an der letzten Ausgabe teilgenommen hat. «Um diese Frage zu beantworten, klärten wir zunächst die Erwartungen des Jugendgruppenleiters. Warum ist es ihm so wichtig, dass die Jugendlichen laut beten?» Dann habe die Gruppe gemeinsam nach Antworten gesucht. Ein anderes Beispiel, an das sich der Pastor erinnert, drehte sich um die Begleitung von Jugendlichen nach einem Ferienlager: «Wenn Jugendliche von Lagern oder Versammlungen zurückkehren, in denen sie eine starke Zeit mit Gott erlebt haben, wie kann man dann das neu entfachte Feuer für den Glauben am Brennen halten?» Auch hier wurden verschiedene Lösungen ausgetauscht. Ebenfalls diskutiert wurden Fragen, wie man den Jugendlichen kontroverse Themen näherbringt, ohne destruktive Auseinandersetzungen zu riskieren, wie neue Jugendliche in die Gruppe integriert werden können oder wo die Grenzen der Beziehung zwischen Leitern und Jugendlichen liegen.
Nicht nur reden, sondern auch umsetzen
«Die Beispiele der anderen Teilnehmenden, ermöglichten es uns, bestimmte Herausforderungen zu antizipieren, die auch in unserer Jugendgruppe auf uns zukommen könnten», kommentiert der 25-jährige Ismaël Schnegg die diskutierten Fragen. Zusammen mit seinem Bruder Siméon Schnegg (23) nahm er an der zweiten Ausgabe von Practico von Ende 2022 bis Anfang 2023 teil. Beide sind Leiter einer Jugendgruppe einer Mennonitengemeinde in der Schweiz. «Beim Austausch ging es darum, einen Schritt zurückzutreten und zu versuchen, sich in die Rolle des anderen zu versetzen», sagt Simeon. «Das war eine neue Erfahrung für mich, aber ich fühlte mich unterstützt und am Ende bereichert.» Ismaël fügt hinzu: «Ich fand es herausfordernd, dass alle, die zum Umgang mit einer Herausforderung Tipps erhielten, beim nächsten Treffen jeweils berichten mussten, was sie davon umgesetzt hatten.» Diese Rechenschaftspflicht sei eine gute Herausforderung gewesen.
Online und flexibel
Ursprünglich sollte es Practico sowohl für französisch- als auch für deutschsprachige Jugendgruppenleiter:innen geben, und zwar in zwei getrennten Gruppen. Zustande kam aber nur die französischsprachige Gruppe und diese traf sich ausschliesslich online. Ein Erbe von Covid oder eine bewusste Entscheidung? «Zuerst haben wir Practico als Präsenzveranstaltung angeboten, aber die Reisezeiten und -kosten haben viele Jugendliche abgeschreckt», erinnert sich Marie-Noëlle Yoder. «So haben die Dozenten auf dem Bienenberg viel Zeit in die Vorbereitungen investiert und trotzdem mussten wir einige Treffen wegen mangels Anmeldungen absagen.» Auch wenn die Teilnehmenden der Online-Treffen manchmal bedauern, dass sie sich nicht persönlich sehen können, erkennen die meisten von ihnen an, dass sich ein Zoom-Meeting besser in einen bereits vollen Terminkalender einfügen lässt. «Diese Flexibilität ist sowohl die Stärke als auch die Schwäche der Online-Treffen», analysiert Marie-Noëlle Yoder.
Ermutigende Handlungsansätze
Audrey Hirschler, 23 Jahre alt, war wie Jérémie Beley Teilnehmerin der letzten Practico-Ausgabe: «Ich habe an diesem Kurs teilgenommen, weil ich über die Herausforderungen nachdenken wollte, denen sich meine Jugendgruppe gegenübersieht, und weil ich hoffte, Ideen zu erhalten, wie wir darauf reagieren könnten.» Sie sagt, sie habe sich selbst herausgefordert gefühlt: «Wenn man sich gemeinsam Zeit nimmt, um Gott, seine Weisheit und seine Führung zu suchen, dann rüstet er uns aus! Ich wurde herausgefordert, die Jugendlichen in meiner Gruppe zu ermutigen und mich um sie zu kümmern», berichtet die Psychologiestudentin. Die 20-jährige Chloé Rychen, eine andere Teilnehmerin, die sich mit dem ökologischen und sozialen Wandel beschäftigt, äußerte sich ähnlich: «Diese Treffen haben mich daran erinnert, dass man die Bedürfnisse der Jugendlichen besser verstehen und sie besser begleiten kann, wenn man ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufbaut. Man sollte sich nicht scheuen, um Hilfe zu bitten. Die Ideen und Fähigkeiten jedes Einzelnen können tolle Handlungsansätze hervorbringen», sagt sie, die auch im Vorstand der CJ mitarbeitet. «Ich war neugierig auf den Inhalt dieses Programms und darauf, was es mir, aber auch den Jugendgruppenleitern bringen könnte, die mit der CJ zu tun haben.» Sie ist beeindruckt von der Kraft der Vorschläge, die sich im Laufe des Abends herauskristallisieren: «Man kann mit einem Thema kommen, das einem harmlos oder zu kompliziert erscheint, und am Ende gehen wir mit vielen Ideen nach Hause. Ich kann Jugendgruppenleitern nur empfehlen, sich mit dieser Art von Programm fortzubilden».
Fortsetzung der Treffen in der Schwebe
Auch Marie-Noëlle Yoder ist begeistert: «Diese Abende sind ein echtes Plus sowohl für Leitende als auch für Jugendgruppen und für Gemeinden. Sie ermutigen und fördern die Zusammenarbeit und ermöglichen es, junge Menschen, die ein unglaubliches Potenzial haben, in ihrem Dienst zu stärken und zu ermutigen.» Dank den Treffen seien auch die Beziehungen zwischen den Teilnehmenden aus der Schweiz und aus Frankreich gestärkt worden. Allerdings: Die Fortsetzung des Programms ist derzeit mangels Anmeldungen auf Eis gelegt. Es geht also eine Einladung an alle, die motiviert sind, sich an einer der nächsten Ausgaben des Programms zu beteiligen. Warum nicht im Herbst?
Text:
Maude Burkhalter
Titelbild:
Camylla Battani auf Unsplash