Das Parlament will die Zulassung zum Zivildienst deutlich erschweren – mit Massnahmen, die laut Kritiker:innen die Gewissensfreiheit einschränken und den gesellschaftlichen Nutzen des Zivildiensts schwächen. Lukas Sägesser, Vorstandsmitglied des Schweizer Zivildienstverbands CIVIVA sowie Mitglied der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli, und Jürg Bräker, Generalsekretär der Konferenz der Mennoniten der Schweiz, erklären, warum sie und ihre Organisationen das Referendum «Zivildienst retten!» unterstützen.
Lukas und Jürg, warum braucht es den Zivildienst?
Lukas: Der wichtigste Grund ist ganz klar, dass damit ein wichtiges Menschenrecht gewährleistet wird: die Gewissens- und Glaubensfreiheit. Dank dem Zivildienst können Menschen in der Schweiz, die aus Gewissens- und Glaubensgründen keinen Militärdienst leisten können und wollen, eine Alternative wählen. Vor der Einführung des Zivildiensts landeten Tausende von Männern im Gefängnis, wenn sie den Militärdienst verweigerten. Wichtig ist auch: Unterdessen hat sich der Zivildienst als wichtige gesellschaftliche Stütze etabliert etwa im Bereich der Betreuung und Pflege oder im Umweltschutz.
Jürg: Die Schweiz gehört zu den wenigen Ländern in Europa, welche eine allgemeine Dienstpflicht aufrechterhalten. Das wird von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen als Verstoss gegen die Menschenrechte kritisiert.
Nun hat das Parlament beschlossen, die Zulassung zum Zivildienst zu erschweren. Was soll sich konkret ändern?
Lukas: Mit dem neuen Gesetz wird mit sechs Massnahmen der Wechsel von der Armee in den Zivildienst erschwert (siehe Kasten). Die gewichtigste Änderung ist sicher, dass alle, die nach abgeschlossener Rekrutenschule in den Zivildienst wechseln im Zivildienst noch mindestens 150 Diensttage leisten müssen. Bisher waren es «nur» das eineinhalbfache der verbleibenden Diensttage, was ja auch schon eine Strafe war. Wer beispielsweise nach der Rekrutenschule und zwei Wiederholungskursen wechselt, hat in der Arme noch 76 Diensttage übrig. Bisher wären im Zivildienst also noch 115 Diensttage zu leisten gewesen. Neu sind es 150.
Jürg: Damit werden unter anderem jene bestraft, welche erst die Rekrutenschule absolvieren, um aus Erfahrung zu wissen, worum es geht, wenn sie sich zwischen Militär- und Zivildienst entscheiden müssen. Im Austausch mit jungen Menschen aus unserer Gemeinde habe ich immer wieder festgestellt, dass sie auf guter Grundlage entscheiden wollen; das zeigt, dass sie diesen Entscheid sehr ernst nehmen. Gerade für sie ist es wichtig, dass der Wechsel vom Militär- zum Zivildienst nicht zusätzlich erschwert wird.
Die Befürworter:innen der neuen Massnahmen argumentieren mitunter mit dem Armeebestand. Dieser sei in Gefahr. Stimmt das?
Lukas: Gemäss Gesetz ist der Sollbestand der Schweizer Armee 100’000. Der effektive Bestand darf maximal 140’000 betragen. Aktuell liegt er sogar über dieser Obergrenze. Von einem Unterbestand sind wir also weit entfernt. Anders als befürchtet wird, ändert auch die Verkürzung der Dienstdauer von 12 auf 10 Jahre nichts daran. Diese wurde 2018 vom Bundesrat beschlossen. Weil die Armee 2028 und 2029 deswegen zwei zusätzliche Jahrgänge entlässt, sinkt der effektive Bestand zwar auf rund 124’000, wird damit aber immer noch deutlich über dem Sollbestand liegen. Ab 2030 soll er gemäss Armeeprognose sogar wieder ansteigen. Also alles halb so wild. Trotzdem geht das Schreckgespenst um, der Bestand sei gefährdet.
Jürg: Es liegt auf der Hand: Wegen der aktuellen Weltlage hat sich die Stimmungslage und die Haltung zur Armee zumindest im Parlament geändert. Das zeigt sich daran, dass die Vorlage, mit der das Gesetz zur Zulassung zum Zivildienst geändert wurde, eine Wiederauflage einer Vorlage ist, die 2020 noch in der Schlussabstimmung im Nationalrat abgelehnt wurde. Mit der veränderten geopolitischen Lage sind aber heute auch mehr junge Menschen motiviert, Militärdienst zu leisten. Das wird sich auch in den Zahlen niederschlagen.
Wie wirken sich die bereits beschlossenen Gesetzesänderungen konkret aus?
Lukas: Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Zivildienstleistenden mindestens um 40 Prozent zurückgehen wird. Ob diese 40 Prozent dann allerdings alle in der Armee bleiben, ist offen. Ich gehe eher davon aus, dass sich wieder deutlich mehr Dienstpflichtige aus gesundheitlichen Gründen vollständig von der Dienstpflicht dispensieren lassen, also den sogenannten blauen Weg wählen. Davon hat dann niemand etwas. Unabhängig davon wird der Zivildienst mit 40 Prozent weniger Dienstpflichtigen als gesellschaftliche Stütze deutlich geschwächt.
Das scheint mir ein zentrales Argument in der Kampagne für das Referendum zu sein. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die ihr beide vorhin als erstes angeführt habt, kommt eher nachgelagert. Warum?
Lukas: Diese positive gesellschaftliche Wirkung hat der Zivildienst nun mal und sie wird mit dem neuen Gesetz tatsächlich untergraben. Diese Konsequenz in den Vordergrund zu rücken ist wichtig, weil sie für die Menschen greifbar ist. Fehlen die Zivis in Pflegeheimen, Kitas oder Schulen, werden das die Leute merken. Insbesondere, weil viele Menschen da gute Erfahrungen mit Zivildienstleistenden gemacht haben. Aber im Kern bleibt natürlich das gewichtigste Argument, dass die Gewissens- und Glaubensfreiheit eingeschränkt wird. Das ist halt etwas abstrakter und schwieriger zu vermitteln.
Jürg: Dass man die Wirkung des Zivildienstes hervorhebt, finde ich schon berechtigt. Auch weil es wichtig ist, der Schmutzkampagne der Gegner entgegenzuwirken. Zivildienstleistende werden als Drückeberger gebrandmarkt, die die Armee einfach aus Bequemlichkeit verlassen. Klar gibt es diese Fälle. Aber der Normalfall ist das nicht, obschon er als solches verkauft wird. Zudem kann man sicher sagen: Die neuen Einschränkungen werden teuer, weil die Zivildienstleistenden an vielen Stellen fehlen werden. Mit dem neuen Gesetz beschädigt man etwas, das gut funktioniert, obschon es keinen Zwang für eine Veränderung gibt. Allerdings muss für mich die Beschneidung der Glaubens- und Gewissensfreiheit das Hauptargument bleiben – auch weil der Zivildienst eigentlich nicht systemrelevant sein dürfte.
Der Vorstand der Konferenz der Mennoniten der Schweiz unterstützt das Referendum. Ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit auch für den Vorstand das zentrale Argument?
Jürg: Es gehört zum Glaubensverständnis der Mennoniten, dass junge Menschen in Lebensfragen nach ihrem eigenen Wissen und Gewissen entscheiden können. Wobei wir auch die Gewissensfreiheit jener respektieren, die sich für einen Militärdienst entscheiden. Wichtig ist aber, dass wir den jungen Menschen bewusst machen, welche Konsequenzen mit dem Dienst im Militär verbunden sind und ob sich das mit der Liebe zum Feind wirklich vereinbaren lässt. Wir sollten ihnen eine gute und umfassende Entscheidungsgrundlage bieten.
Welchen Stellenwert hat der Zivildienst für die Mennonit:innen?
Jürg: Ich würde sagen, er ist vielen von uns wichtig. Als der Zivildienst 1996 eingeführt wurde, waren einige aus unserer Gemeinschaft massgeblich daran beteiligt. Er stellt ein aus unserer Sicht einseitiges Sicherheitsdenken in Frage und ist ein Beitrag zum Frieden in der Welt. Und auch wenn wir letztlich den jungen Menschen den Entscheid überlassen, ob sie Militär- oder Zivildienst leisten wollen, gehe ich davon aus, dass der Anteil an Zivildienstleistenden bei uns höher ist als anderswo.
Warum ist es «nur» der Vorstand, der das Referendum unterstützt und nicht die ganze Konferenz?
Jürg: Der Vorstand hat in unseren Strukturen nicht die Kompetenz einfach für alle Mitglieder der Konferenz zu sprechen. Um eine offizielle Position der gesamten Konferenz zu bestimmen, bräuchte es eine Vernehmlassung und einen Beschluss der Delegiertenversammlung. Bei Themen, wo der Vorstand davon ausgeht, dass die Einigkeit innerhalb der Konferenz gross ist, nimmt sich der Vorstand manchmal die Freiheit, eine eigene Haltung öffentlich zu machen. Das ist beim Angriff auf den Zivildienst der Fall. Deshalb hat der Vorstand auch schon im Rahmen der Vernehmlassung zum neuen Gesetz Einspruch erhoben. Jetzt das Referendum zu unterstützen ist da nur konsequent.
Wie schätzt ihr denn die Erfolgschancen des Referendums ein?
Lukas: Ich bin einigermassen hoffnungsvoll. Mein Eindruck ist, dass der Zivildienst in der Bevölkerung besser verankert ist als im Parlament. Ob das allerdings reicht, um die gesetzlichen Verschärfungen zu verhindern, wird sich zeigen müssen.
Jürg: Mein Eindruck ist ähnlich: Das Militär hat im Parlament eine starke Lobby, die Bevölkerung insgesamt hingegen ordnet das Verhältnis von Militär und Zivildienst differenzierter ein. Das Referendum wird aus meiner Sicht wohl zu Stande kommen. Was dann bei der Abstimmung geschieht, ist schwer vorherzusagen. Das hängt dann sicher auch davon ab, wie sich die allgemeine Bedrohungslage weiterentwickelt bis zu diesem Zeitpunkt.
Interview:
Simon Rindlisbacher










