Der SRF-Dokumentarfilm «Kinder des Friedens» setzt sich mit dem 500-jährigen Erbe der Täuferbewegung auseinander. Im Zentrum steht die Geschichte von Jürgen Gerber und seiner Familie – stellvertretend für jene vieler Täuferfamilien, die sich immer wieder zwischen Widerstand und Anpassung entscheiden mussten. Die Filmemacher Manuel Andreas Dürr und Jan-Marc Furer sprechen über radikale Gewaltfreiheit, den Wert von Abgrenzung und die Suche nach Haltung in bewegten Zeiten.
Am 29. Mai erscheint auf SRF «Kinder des Friedens», ein Film von euch über die Täuferbewegung. Wie kam es dazu, dass ihr diesen Film gedreht habt?
Manuel Andreas Dürr: Wir hatten uns bereits in unserem letzten Film «Der letzte Ketzer» mit der Täuferbewegung auseinandergesetzt, konnten aber nur am Rande auf ihre faszinierende Geschichte eingehen. Als wir erfuhren, dass die Bewegung 2025 ihr 500-Jahr-Jubiläum feiert, dachten wir: Das wäre doch ein passender Anlass, ihr einen ganzen Film zu widmen. Wir haben dann realisiert, dass wir in unserem engeren Umfeld Täufer haben – beispielsweise Jürgen Gerber. Wir sind mit ihm ins Gespräch gekommen und haben schnell gemerkt: Da lässt sich etwas machen und er muss unsere Hauptfigur sein. Danach haben wir beim SRF einen Antrag auf eine Koproduktion gestellt – inklusive finanziellem Support – und sie haben zugesagt.
Was macht gerade Jürgen Gerbers Geschichte zu einem geeigneten Einstieg in die Täufergeschichte?
MAD: Die grosse und schwierige Frage war für uns: Wie fassen wir 500 Jahre Geschichte auf kompetente Art zusammen? Jürgens Geschichte bot sich als guter Zugang an: Sie ist spannend, bringt verschiedene täuferische Familienstränge zusammen und spielt in der Schweiz.
Neben Jürgen Gerber kommen im Film neun weitere Personen ausführlich zu Wort. Wie habt ihr diese ausgewählt?
MAD: Mit der SRF-Journalistin Judith Wipfler und dem Historiker Hanspeter Jecker waren wir von Anfang an im Austausch. Astrid von Schlachta, auch eine Historikerin, war gesetzt, nachdem ich von ihr ein Einführungsbuch ins Täufertum gelesen hatte. Für die übrigen haben wir uns in unserem Umfeld umgehört, angefangen beim Theologen Lukas Amstutz. Irgendwann entschieden wir uns dann auch, uns in erster Linie auf Leute aus der Schweiz zu beschränken, weil das eine inhaltliche Vereinfachung brachte.
Jan-Marc Furer: Natürlich gab uns auch Jürgen Gerber noch ein paar Tipps. Am Ende haben es auch Personen in den Film geschafft, die wir eigentlich nicht eingeplant hatten – beispielsweise der pensionierte reformierte Pfarrer Ulrich J. Gerber. Wir haben ihn und sein Täufermuseum im Rahmen unserer Recherche besucht. Dann kam er ins Erzählen, und wir haben realisiert, dass es sich lohnt, seine Ausführungen festzuhalten. Gleichzeitig haben wir auch Leute interviewt, die in der Endfassung nicht vorkommen. Das SRF hat uns nach einer ersten Sichtung des Films empfohlen, gut ein Drittel der Interviews zu streichen, weil der Film sonst zu komplex geworden wäre.
Gab es darüber hinaus noch andere Rückmeldungen vom SRF?
JMF: Uns hat überrascht, wie wenig SRF sonst noch ändern wollte. Wir sind insbesondere davon ausgegangen, dass wir am Ende noch das eine oder andere Statement zum Thema Glauben und Gott löschen müssen. Am Ende durften alle diese Statements drinbleiben. Jetzt ist uns der Film selbst fast ein bisschen zu fromm (lacht). Nein, es hat uns natürlich gefreut, dass wir eine so grosse Freiheit hatten.
Manuel Andreas Dürr wurde 1989 in Biel/Bienne, Schweiz, geboren. Er hat Malerei in Florenz und Kunstgeschichte in Fribourg studiert und arbeitet heute als Kunstmaler und Filmemacher.

Im Zentrum des Films steht nun die Gewaltfreiheit und das Ringen der Mennoniten darum. Der Arbeitstitel hat sich aber mehrmals geändert – von «Die Uchummlige» zu «Grenze der Freiheit», bis schliesslich zu «Kinder des Friedens». Hat sich auch die inhaltliche Ausrichtung des Films verändert?
JMF: Für den Antrag beim SRF brauchten wir eine klare Idee und ein Drehbuch. Ein solches haben wir auch erstellt – nach unseren Gesprächen mit Jürgen und auch mit seiner Mutter. Ausgehend davon haben wir dann die Interviews für den Film geplant. Wir hatten also einen Plan, liessen uns aber auch von den Ergebnissen leiten. Definitiv entschieden haben wir uns erst beim Schnitt. Die Gewaltfreiheit wollten wir schon früh ins Zentrum stellen. Während der Entstehung des Films haben wir dann aber tatsächlich noch ein paar Schlenker hin zu anderen Themen gemacht – etwa Freiheit. Und während des Schnitts haben wir uns überlegt, die ganze Geschichte an den «Uchummlige» aufzuhängen – so wurden die Vorfahren Jürgen Gerbers genannt. Am Ende landeten wir dann doch wieder beim Thema Gewaltfreiheit als rotem Faden – als Thema, das alle Stränge, die im Film vorkommen, gut zusammenhält.
Welche sind das?
MAD: Neben der Geschichte von Jürgen Gerber und seiner Familie kommen der Jura-Konflikt, der Zweite Weltkrieg und dann eben auch die frühe Täufergeschichte vor – unter anderem auch die Situation in Münster. In all diesen Strängen geht es um das Ringen um Gewaltfreiheit. Der Film webt diese verschiedenen Geschichten zusammen und hat etwas Essayistisches – vielleicht für die einen oder anderen etwas zu frei. Es ist definitiv nicht die rigide Art eines Historikers, sondern die intuitive Art des Erzählers.
Was meinst du genau mit «essayistisch»?
MAD: Unter dem Strich war unser Ziel, etwas über die Mennoniten zu lernen und dann eine Geschichte zu erzählen, die etwas Wichtiges aussagt. Der Film richtet sich an ein breites Publikum, das wenig Vorwissen über die Täuferbewegung mitbringt – vielleicht Menschen, die am Abend nach der Arbeit gemütlich auf dem Sofa einen Film schauen wollen. Er soll sie zum Denken anregen. Eine umfassende Abhandlung der Geschichte und der Bewegung wäre da nicht passend. Es braucht stattdessen eine zugängliche und auch packende Erzählung mit klarem Fokus. Manchmal muss man natürlich den Kontext erklären, damit man folgen kann. Das kann dann aber nur holzschnitzartig geschehen.
Kannst du ein Beispiel geben?
MAD: Zum Beispiel muss man den Anfang der Täuferbewegung irgendwie verständlich machen. Oder auch, wieso es ein Politikum war, dass die Täufer sich für die Erwachsenentaufe einsetzten. Diese Hintergrundinformationen mussten wir stark vereinfachen, damit sie nicht vom roten Faden ablenken.

Jan-Marc Furer wurde 1991 in Münsingen, Schweiz, geboren. Er wohnt in Biel und hat als Videojournalist, Studio-Kameramann und Youtube-Video-Produzent gearbeitet. 2021 hat Jan-Marc Furer an der Hochschule der Künste Bern den CAS Dokumentarfilm abgeschlossen und arbeitet seither als Filmproduzent bei der Schwarzfalter GmbH.
Wie kam der Film insbesondere mit diesen Vereinfachungen bei den Protagonist:innen an?
JMF: Den Personen, die wir als Expert:innen interviewt haben hat der Film auf Anhieb gefallen. Sie hatten nur kleine Einwände, etwa, dass man besser von Gewaltfreiheit und nicht von Gewaltlosigkeit sprechen sollte. Das hat uns natürlich gefreut, weil wir eben wussten, dass wir im Film vieles vereinfacht hatten. Trotzdem konnten sie dahinterstehen. Von den übrigen Personen, die vorkommen, gab es ein Feedback, das eher kritisch ausgefallen ist. Davon ausgehend haben wir noch ein paar Änderungen gemacht.
Was wurde kritisiert?
JMF: Der Person ging es weniger darum, dass wir Dinge falsch erzählt haben, sondern eher darum, dass wir Gewisses halt nicht erwähnt haben. Und da sind wir wieder bei einer weiteren der zentralen Schwierigkeiten im Projekt: Der Film durfte nur 60 Minuten lang werden. Auch deswegen konnten wir einfach nicht alles sagen.
MAD: Uns war rasch klar, dass wir mit dem Film nicht den Befindlichkeiten aller Mennonitinnen und Mennoniten in der Schweiz gerecht werden können. Die Bewegung ist ja auch nicht homogen, und es gibt beispielsweise nicht nur eine einzige Sicht auf das Thema Gewaltfreiheit. Unter dem Strich haben wir also nicht DEN Film über die Täuferbewegung in der Schweiz gemacht. Vielmehr haben wir gemeinsam mit Mennoniten auf deren Bewegung und deren Geschichte geblickt und geben dazu unser eigenes Statement ab.
Ihr wolltet mit dem Film persönlich etwas über die Täuferbewegung lernen. Was ist euch besonders geblieben?
MAD: Ich habe mich darauf gefreut, im Rahmen des Projekts eine ganze Philosophie der Gewaltfreiheit zu entdecken. Im ersten Moment war ich dann etwas enttäuscht, dass die Gewaltfreiheit für die Täuferbewegung eher ein einfaches Bekenntnis zur Bergpredigt ist. Fast ein bisschen naiv: Ich will einfach so leben, wie Jesus es vorgelebt hat. Das schien mir im ersten Moment kaum anschlussfähig. Irgendwann habe ich realisiert, dass genau ein solches einfaches Bekenntnis vielleicht die einzige echte Basis für Gewaltfreiheit is
Wieso genau?
MAD: Ob wir eine Philosophie vernünftig finden oder nicht, hängt immer von unseren Intuitionen und den gesellschaftlichen Umständen ab. Beides verändert sich über die Zeit. Zugleich hat man in einer Krise auch nicht die Kraft oder die Zeit, ein ganzes philosophisches Konzept durchzudenken und anzuwenden. Ein einfaches Bekenntnis hingegen ist viel robuster. Es bleibt anschlussfähig, auch wenn sich der Kontext wandelt, und bietet gleichzeitig Raum für Kompromisse und pragmatische Lösungen. Das ist für mich eine wichtige Erkenntnis – philosophisch, ethisch und auch für mein Christsein.
JMF: Ich habe gelernt, dass ein solches Bekenntnis in erster Linie für jene gelten kann, die es abgeben. Es ist nicht etwas, das einfach universal gültig ist und man anderen überstülpen kann, sondern etwas Freiwilliges, genauso, wie es freiwillig ist, Jesus nachzufolgen. Das scheint den Mennoniten wichtig zu sein.
Geblieben ist mir auch, wie schwierig es sein muss, die eigene Identität und Ideale zu bewahren – auch durch Abgrenzung – und gleichzeitig weltoffen zu bleiben. Vor der Arbeit am Film bin ich noch davon ausgegangen, dass sich vielleicht sagen lässt, dass das eine besser ist als das andere.
Hat sich diese Annahme bestätigt?
JMF: Der Film zeigt, dass man weder die eine noch die andere Stossrichtung verteufeln sollte. Es gibt für beide gute Argumente, aber in ihrer Extremform sind beide heikel. Da kann man auf beiden Seiten vom Pferd fallen. Darum scheint es mir, dass alles eine Frage der Balance ist, die allerdings schwierig zu halten ist.
MAD: Bei mir ist der Eindruck entstanden, dass der Wert einer Abgrenzung – insbesondere als Möglichkeit, etwas zu bewahren – bei den Mennoniten etwas zu wenig geschätzt wird. In den Gesprächen für den Film wurde oft zuerst einmal betont, dass man nicht mehr Aussenseiter sei, sondern nun auch «dazugehöre». Zumindest wollte man nicht aus den falschen Gründen als Aussenseiter angesehen werden. Aber ist es nicht so, dass jede Öffnung immer die Gefahr birgt, dass gewisse Werte – auch solche, die einen als Bewegung auszeichnen – verloren gehen? Wenn die Täuferbewegung beispielsweise die Gewaltfreiheit als zentralen Wert und Erbe verlieren würde, wäre das schade.
Ist es um dieses Erbe schlecht bestellt?
MAD: Das Grundbekenntnis zur Gewaltfreiheit war überall zu spüren. Aber solange man dieses nicht verrät, scheinen alle in der Praxis zu gewissen Kompromissen bereit. Das hat sich etwa im Jura-Konflikt gezeigt, als es plötzlich eine wichtige Rolle spielte, ob man Berner oder Jurassier war und manche es in Betracht zogen, ihre Bauernhöfe mit Waffen zu verteidigen. Das ist nicht gerade radikal pazifistisch. Dabei hätten sich die Täufer ja vielleicht selbst etwas mehr beim Wort nehmen können und sagen: Wir haben hier kein Reich, also spielt es keine Rolle, auf welcher Seite wir in diesem Konflikt stehen. Aus meiner Sicht hätte etwas mehr Nonkonformismus nicht geschadet – genauso wie heute noch.
Wie kommst du zu diesem Schluss?
MAD: Nonkonformisten bzw. Aussenseiter sind doch wichtig, weil sie in ihrer Rolle eine gesunde Kritik am vorherrschenden System verkörpern können! In dem Sinne braucht es Mennoniten, die noch radikal gewaltfrei sind – als prophetisch-kritischen Impuls, auch wenn er nicht die Antwort auf jede Frage sein kann. Aber unter dem Strich handelt es sich natürlich um eine komplizierte Dialektik. Vielleicht ist es wirklich eine Frage der Balance, wie Jan-Marc sagt.
Das wäre ein schönes Schlusswort. Trotzdem noch eine letzte Frage: Warum sollte man «Kinder des Friedens» nicht verpassen?
MAD: In Zeiten, in denen alle ratlos sind und auf europäischer Ebene wieder existenzielle Fragen gestellt werden, ist es hilfreich, wenn man die Vorfahren wieder zu Wort kommen lässt, die gewisse Kämpfe schon gekämpft haben. Für mich ist die Täuferbewegung mit ihrer 500-jährigen Geschichte eine wichtige, ja fast unverzichtbare Quelle für Impulse, um die gegenwärtigen Krisen zu bewältigen. Unser Film führt in diese Geschichte ein.
JMF: Perfekt. Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.
Interview:
Simon Rindlisbacher